#08

Heute wird gewandert. Wie sich das ganze gestalten sollte, hatte ich mir am Vorabend am Handy kurz angeschaut.

Ein paar Kilometer entfernt sollte es eine Bergbahn geben, deren Ziel ein guter Ausgangspunkt für viele Wanderungen sein sollte.

Als ich meine 7 Sachen gepackt hatte sollte es losgehen. Doch eines darf man beim Campen außerhalb von Campingplätzen nicht außer Acht lassen: Es gibt kein WC!

Wo ist mein Geld?

Da ich aber ohnehin am Ortsrand übernachtete, war für mich klar die öffentliche Toilette des Ortes aufzusuchen (eh ein Wahnsinn, dass es sowas in dem Ort gab, Tourismus sei dank).

Danach bin ich zum Lidl und wollte mir Frühstück kaufen. Und auch eine kleine Jause, Wandern macht ja bekanntlich hungrig. Warum ich das so ausführlich beschreibe? Weil ich an der Kassa bemerkt habe, dass ich kein Geld dabei hatte. Überhaupt nicht peinlich zu sagen, dass man die Geldbörse nicht findet.

Alles liegen lassen und raus zum Rad. Vielleicht liegts ja irgendwo in der Gepäcktasche. Negativ! Kurzer Moment der Panik. Ich alleine in einem slowakischen Bergdorf ohne Geldbörse? Da gibts definitiv bessere Starts in den Morgen.

So, aber was mach ich jetzt? Die kann ja nicht verschwunden sein. Vielleicht an der Toilette vergessen? Ich hau mich aufs Rad und fahr nochmal zur Toilette. Der Klofrau erzähle ich leicht nervös, leicht panisch, von meinem Missgeschick. Beide durchsuchen wir die Toiletten. Nichts! Das gibts ja nicht. Gestern hatte ich sie ja noch. Die kann sich nicht in Luft aufgelöst haben.

Ein letztes mal gehe ich noch durch alle Toiletten. Und siehe da. Da liegt sie am Boden. Erleichterung! Endlich! Ich bin dann noch einmal zum Lidl und hab meinen Einkauf endlich bezahlen können.

Der 1. Anstieg

So, nun gings aber wirklich ab zur Wanderung. Man musste 4 Kilometer zur Talstation der Liftanlage radeln. So stand es zumindest überall. Da sich Terchova in einem Tal befand, ging es durchgehend bergauf. Ich hab immer wieder auf den Tacho geschaut: Bald hatte ich die 4 Kilometer erreicht. Okay, vielleicht haben sie sich vermessen.

Sinds vielleicht doch ein bissl mehr als 4 KM. Aber anstrengend ist es schon mittlerweile. 5 Kilometer, 6 Kilometer. Immer noch nichts. Immerhin hatte ich ein Aufwärmtraining.

Nach 8 Kilometer wars dann endlich soweit. Ich war am Ziel vom Start. Oder so.

Wandern? Ok. Aber was mach ich mit dem Rad?

ein risikofreudiger Radler

Der eine oder andere Leser wird sich die Frage auch schon gestellt haben. Und das ist schon ein bisschen eine Herausforderung.

Wie geht man Wandern, wenn man mit dem Rad unterwegs ist? Das Rad samt Taschen nehm ich sicher nicht am Berg hinauf. Da könnt ich besser Mountainbiken gehen.

Aber einen ganzen Tag sein Fahrrad unbeaufsichtigt lassen?

Ich würde es natürlich absperren aber wo konnte ich es absperren? Es gab natürlich keinen Fahrradständer (weil ja auch niemand da mit dem Rad herfährt).

Ich wurde auf einen Imbissstand aufmerksam und erkundigte mich dort, wo ich meinen Drahtesel stehen lassen könnte.

Die Verkäuferin meinte, ich könne es an die Rückwand der Imbissbude anlehnen, da wird es nicht gestohlen.

der Müllsack gehört nicht zu mir

Naja, so wirklich überzeugt war ich nicht. Andererseits: Wenn ich meine Wertsachen mitnehme, was ist schon wertvolles drinnen? Ein schmutziges Rad mit 2 fetten Gepäckstaschen? Und abgesperrt ist es sowieso. Noch dazu ist das jetzt nicht die Gegend wo Diebe auf Beutezug sind sondern Leute zum Wandern herkommen. Ich vertraue darauf, dass nichts passieren wird.

Rauf auf den Berg…

So buchte ich mir ein Gondelticket und genoss die Aussicht über das Tatra-Gebirge. Die Gondel hatte einen Vorteil: Sie hatte nur Platz für 4 Personen. An der Bergstation waren allerdings wirklich viele Wanderer. Deutlich zu viele für meinen Geschmack.

Man muss sich das so vorstellen: Als Radfahrer abseits von vielbefahrenen Radwegen bist du keine Leute gewöhnt. Du bist fast überall allein. Und wenn alle Leute an einer Station aussteigen, dann sind da gezwungenermaßen ein Haufen Wanderer.

Wie funktionieren Menschenmassen? Wo einer geht, gehen alle hin. Weil: Da ist es ja cool (ist übrigens bei Instagram ähnlich: da macht jemand ein Foto von einem „Geheimtipp“ und kurze Zeit später braucht man schon gar nicht mehr hin weil jeder dieses Foto gemacht hat).

Aber wenn man wie ich diesen Trubel so gar nicht mag, dann sucht man nach Lösungen. Eine dieser wäre einfach in die Gegenrichtung zu gehen. Natürlich ist man da auch nicht ganz alleine aber es ist deutlich erträglicher.

Und ich muss sagen: So ein Glück musst du auch einmal haben. Strahlender Sonnenschein, tolle Berglandschaft und ich merkte, dass es sich gut anfühlte, einmal nicht auf dem Rad zu sitzen.

Wandern in der Slowakei
Wanderparadies Slowakei

… und wieder runter

Da ich es ja generell überhaupt nicht mag, den gleichen Weg zurück zu gehen, suchte ich auf meinem Handy nach möglichen Rundwegen (die slowakischen Wegweiser waren mir nicht so geheuer). Schlussendlich war mir das alles entweder zu kurz oder zu weit. So entschied ich mich dafür, einfach den Weg ins Tal fortzusetzen.

Blumen am Wegesrand
am Weg nach unten
fast am Ziel der Wanderung

Unten angekommen führte mich der 1. Weg natürlich zum Imbissstand. Ich wollte sofort prüfen, ob das Rad noch dastand.

Und ja, es war noch da.

Daraufhin gönnte ich mir gleich ein Eis und genoss das herrliche Wetter im Tal.

Weiter geht’s per Rad

Ursprünglich wollte ich ja länger wandern und den restlichen Tag pausieren. Aber die paar Stunden reichten und ich hatte nun wirklich Lust, den Tag am fortzusetzen. Immerhin war es ja erst am frühen Nachmittag. Und zum Schlafen finde ich hier sowieso nichts.

Also rollte ich erstmal 8 Kilometer zurück ins Tal. War das herrlich. Da war ich dann doch froh, dass es in der Früh 8 statt 4 Kilometer bergauf ging. Aber das waren nicht die letzten Endorphine an diesem Tag.

Ich fuhr an einer mäßig befahrerenen Landstraße entlang, links und rechts tolle Aussichten. Als ich an einem schönen Gasthaus vorbeikam kommunizierte mein Magen an mein Hirn: Hier wird Pause gemacht.

Pause in den Karpaten

Die Kellnerin machte ein etwas verdutztes Gesicht, als ich Mohnnudeln als Hauptspeise bestellte. Aber Mohnnudeln sind halt manchmal schon was Feines.

Velotropische Glücksmomente

Ich genoss den Ausblick, die Sonne, das Essen. Ich glaub ich genoss in diesem Moment so ziemlich alles.

Nachdem ich mich mit gut erholt hatte und wieder genug Energie bei mir hatte (danke Kofola, danke Mohnnudeln), gings weiter.

Der Weg führte durch kleine verlassene Dörfer. Die Sonne scheinte ohne, dass es zu heiß war. Fahrtwind und so.

Ich kann es nicht einmal genau beschreiben warum aber ich fühlte mich in diesen Momenten unglaublich glücklich. Die Kombination aus kleinen Dörfern mit strahlendem Sonnenschein, guten Straßen, tollen Ausblicken. Dazu wahrscheinlich die Glückshormone, die durch Sport ausgeschüttet werden (mir ist nämlich schon aufgefallen, dass es mir meist an Abenden besser ging als vormittags). Das alles führte zu einem wahren Endorphin-Massenausstoß!

Du fühlst dich, als könntest du endlos weit fahren. Absolut unbesiegbar

Radfahrer im Bikers High

Der eine oder andere kennt das vom Laufen: Runners High! Man fühlt sich, als ob man ewig laufen könnte. Alle Sorgen treten in den Hintergrund. Und so ging es mir in dem Moment. Nennen wir es der Einfachheit halber Bikers High.

Dazu kommt noch die Freiheit. Das ist ein glaublicher Glücks-Cocktail. Und ich glaube, das macht für mich das Radreisen so unbeschreiblich schön. Faszination pur!

Die falsche Entscheidung: Am Boden der Realtität

Wenn du den ganzen Tag allein unterwegs bist, triffst du unzählige Entscheidungen. Die meisten fallen nicht mehr wirklich auf und geschehen intuitiv (Schalten der Gänge, Wählen der optimalen Fahrspur). Aber dann entscheidest du auch, wann du eine Pause machen wirst. Wo du essen wirst und vor allem was.

Niemand nimmt dir eine Entscheidung ab, du bist komplett auf dich gestellt. Das macht dich manchmal auch sehr müde. Den Entscheidungen zu treffen ist nicht immer leicht.

Daher habe ich großteils mit meiner Uhr navigiert, das heißt ich hab mir am Vortag die Strecke rausgesucht, damit ich dann nicht bei jeder Kreuzung stehen bleiben muss.

Das Stehenbleiben kostet nämlich jedesmal Kraft und Zeit. Und natürlich auch zusätzliche Hirnaktivitäten.

Manchmal funktioniert die Navigation aber nicht so richtig. Und du stehst vor einer Abzweigung und weißt nicht, wie du fortfahren (wortwörtlich) sollst.

Ich kenn da eine Abkürzung

Jeder, absolut JEDER

Ich hatte nun die Möglichkeit zwischen 2 Wegen. Etwa 10 Kilometer auf wenig befahrener asphaltierter Straße oder ein 5 Kilometer mit unbekanntem Terrain. Auf der Karte war das als Wanderweg eingezeichnet.

Und das Hirn dachte sich: Fährst du doch nicht 10 Km wenns in 5 auch geht. Eine Abkürzung! Wie cool.

Ja, so beginnen oft die interessantesten Geschichten.

Der Weg war nämlich anfangs ganz okay, asphaltiert, dann so Art Kopfsteinpflaster.

Dann Erde.

Dann Gras.

Einen knappen Meter hoch.

Ja schiebst halt ein Stück, dann hast es hinter dir und dann gehts e weiter.

Wer sein Rad liebt, der schiebt

Ich hab noch nicht erwähnt, dass natürlich alles bergauf ging. Und die Sonne hatte immer noch Kraft (vor allem weil der Fahrtwind jetzt nicht mehr vorhanden ist). Das heißt der Dreck ronn sich richtig schön runter. Brennnesseln waren natürlich auch dabei aber die spürst halt irgendwann nicht mehr.

Das kurze Stück schieben entwickelte sich zu einem Dauerzustand. Wie kannst bei so hohem Gras bergauf fahren. Noch dazu mit Gepäck. Unmöglich!

Jeder Meter zog sich wie ein Kaugummi. Umdrehen war aber auch keine Option, ich dachte mir ich zieh das durch. Weil jetzt hab ichs ja schon so weit geschafft. Ich überprüfte alle paar Minuten ob ich eh noch am Weg war. Okay, Weg ist ein bisschen übertrieben. Ob ich noch auf der Wiese war.

wenn du beim hinauf Schieben auf den niedrigsten Gang schaltest

Anzeichen, dass du nicht mehr ganz klar im Kopf bist

Und damit nicht alles umsonst war, hab ich immer wieder umgedreht. Nicht, um zu sehen wieviel ich schon geschafft häbe (das wäre ernüchternd gewesen), sondern um die Landschaft zu genießen. Das war nämlich wirklich schön. Und das motivierte mich weiterzumachen.

Die Aussicht während des kräfteraubendes Anstiegs

Und natürlich dachte ich mir wieder….

O I D A!

Warum?

Vorher war ich so gut drauf und dann dieser Sch***.

Es kann einfach nicht einfach mal alles passen. Ich versuchte immer wieder aufs Rad aufzusteigen, aber es war zwecklos. Schieben war angesagt.

Ich merkte dann auch: Hey, die Oberschenkel sind nicht das Problem. Sondern die Oberarme. Das war Ganzkörpertraining. Das geht nämlich ziemlich rein. Ich war echt erschöpft.

Und dann gab es zwischendurch immer so Passagen die extra steil waren. Wo ich mehrmals versuchte das Rad mit Schwung raufzuschieben. Echt unglaublich.

Und weißt du, woran du merkst, dass du schon komplett am Ende bist? Wenn du beim Schieben überprüfst, ob du e auf den niedrigsten Gang geschalten hast. Ja, das ist mir mehrmals passiert.

Endlich wieder Asphalt

Irgendwann war dann Ende in Sicht. Ich glaub es waren tatsächlich 5 Kilometer. Und das beste: Da gab es ein Restaurant. Mit einer wunderschönen Terrasse. Die sahen alle diesen verrückten Typen der sich da plagt das Rad durch die Brennnesseln zu schieben. Und sogar mal ausgerutscht ist. Mehr braucht man echt nicht.

Nochmal umgedreht und den Aussicht genossen. Der letzte Abschnitt führte durch einen Wald und war dann endlich wieder fahrbar. Bis auf die letzten Meter.

Dieses Stück war selbst zum Schieben zu steil

Ich ging zuerst zu Fuß hinauf, um zu schauen, was mich oben erwartete. Die asphaltierte Straße!

Aber es war unmöglich das Fahrrad hier hinaufzuschieben.

Daher hab ich alle Taschen abmontiert, die Taschen nacheinander raufgetragen, dann das leere Fahrrad hinaufgeschoben und schlussendlich alles wieder befestigt.

Nun war ich auf der asphaltierten Straße. Die, welche ich erreicht hätte, wenn ich den normalen Weg genommen hätte. Wie es jeder normale Mensch so machen würde.

Ich bin dann noch ein paar Kilometer auf der Straße gefahren. Natürlich auch bergauf. Ich hab mir dacht ich spinn. Egal welche Steigung, auf dieser Asphaltstraße ist das ein Kinderspiel. Das gibts ja nicht. Ich hätte es so einfach haben können. Einfach runterschalten und gemütlich rauftreten und es ist erledigt. So einfach wärs gewesen.

Da hab ich mich schon ziemlich geärgert. Aber immerhin hatte ich den grandiosen Ausblick. Das war schon auch okay. Langsam wurde es Abend. Und ich sollte mir überlegen wo ich denn schlafen werde. Ich kontrollierte auf der Karte, es geht noch etwas bergauf und dann nur runter. Mehrere Kilometer.

Der letzte Anstieg des Tages

Dann überlegst du halt schon: Wenns wirklich runter geht, dann ist es scheiß egal, das ist e nicht mehr anstrengend. Und wenn du jetzt was zum Schlafen suchst, dann müsstest du in der Früh alles bergab fahren. Das ist schon blöd weil das ziemlich kühl ist. Also bin ich runtergerast. Geil! Kurven und Speed! Einfach laufen lassen und den Fahrtwind der Freiheit einatmen.

Die Strecke führte durch den Wald. Ich wollte nun kurz vor dem nächsten Ort einen Schlafplatz suchen. Das wäre ideal, denn dann könnte ich am nächsten Morgen gleich frühstücken. Plötzlich sah ich eine Brücke. Der Weg führte in den Wald. Ich folgte dem Pfad einige 100 Meter und ich war verliebt. Ich fand den schönsten Platz zum Übernachten bisher.

Und wenn man den Tag noch einmal im Schnelldurchlauf abspielt: Da waren so viele Höhen und Tiefen dabei. Und das alles an einem Tag

  • Geldbörse verloren
  • 8 Kilometer Steigung
  • Angst vor Raddiebstahl
  • Wunderschöne Wanderung
  • Fahrrad wurde nicht gestophlen
  • 8 Kilometer bergab
  • Mohnnudeln
  • Schöne Dörfer, Bikers High
  • Schiebepassage zum Verzweifeln
  • Adrenalin beim Bergabfahren
  • Wunderschöner Übernachtungsplatz mit Lagerfeuer

Wenn ich so überlege, war das bisher einer der emotionalsten Tage.

Soviele Eindrücke an einem Tag, die musst du alle erst einmal Verarbeiten. Und viel Zeit hast du ja nicht, denn sobald du im Zelt bist, bist du müde und schläfst gleich ein.

PS: Vom Schlafplatz gibt es natürlich noch ein Video – im nächsten Beitrag dann

Daten zum Tag:
Dienstag 10.8.2021
☀️

Gesamtstrecke: 37.86 km
Gesamtanstieg: 1047 m

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