#02
Auf der Couch in Milans Wohnung hatte ich einen erholsamen Schlaf. Vom Essen am Vortag blieb einiges übrig. Daher gabs sogar ein warmes Frühstück. Wie im Hotel – Wahnsinn!
Milan würde an diesem Tag seine Familie besuchen, daher musste er früh los. Ich packte meine 7 Sachen und wir verabschiedeten uns. Warmshowers! Muss man sich merken – echt eine tolle Erfahrung!
Als ich das Rad aus dem Aufzug beförderte, genoss ich die ersten Sonnenstrahlen Bratislavas. Und dann hatte ich wieder dieses Gefühl der Freiheit: Ich konnte fahren wohin ich wollte – mit dem Rad! Herrlich!
Shoppen in Bratislava
Naja ein paar Sachen hatte ich ja doch geplant. Ich hatte eigentlich eine ganze Liste an Dingen die ich erledigen wollte. Ich hatte nicht nur Sachen zu Hause vergessen (Garmin-Ladekabel) – nein, nein, ich hatte sogar eingeplant einige Dinge in Bratislava zu kaufen weil ich daheim nicht mehr dazukam.
Aber zuerst wollte ich mein Glück beim Garmin-Shop versuchen. Der war natürlich am anderen Ende Bratislavas. In irgendeinem Gewerbepark an der Peripherie.
Ich hab mir die ungefähre Strecke rausgesucht und am Weg dorthin hab ich viel überlegt: Was mach ich wenn es das Ladekabel dort nicht gibt? Soll ich mir das dann von Wien zuschicken lassen? Oder gleich eine neues bei Amazon bestellen? Und wenn ja: Auf welche Adresse? Ich weiß ja nicht, wo ich in 2-3 Tagen bin. Abgesehen davon, dass ich dann diese Zeit irgendwie blind herumnavigiere. Hmmm…
Was mache ich, wenn mir auf einem 3-wöchigen Radurlaub am 2. Tag das Rad gestohlen wird?
Gedanken eines Radreisenden
Über verlassene Siedlungen und Eisenbahnkreuzungen ohne Warnhinweise (da gehen die Leute einfach so über 5-6 Gleispaare) bin ich schließlich beim Einkaufszentrum angekommen. Etwas misstrauisch hab ich mein Fahrrad abgesperrt. Weil eines hab ich mir schon gedacht: Da nimmst du dir 3 Wochen Urlaub, dass am 2. Tag dein Rad gestohlen wird? Suboptimal!
Irgendwie hab ich in dieser Mall dann den Garmin-Shop gefunden. Ich zeigte dem Mitarbeiter die Uhr und der hatte tatsächlich ein Ladekabel. Ein einziges Ladekabel! So ein Glück musst einmal haben.
Ich war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich der glücklichste Wiener Radfahrer in Bratislava der ein Garmin-Ladekabel suchte. Alle Gedanken die ich mir vorher gemacht habe … völlig übertrieben.
Das nächste Glücksgefühl erlebte ich, als ich mein Rad noch an seinem Platz vorfand. Halleluja!
Ja, so einfach kann man glücklich sein. Es müssen einfach die scheinbar normalen Dinge eintreffen.
Danach wollte ich noch zum Sport-Diskonter Decathlon. Musste würde es besser treffen. Denn irgendwie hatte ich es geschafft in Bratislavas Stadtverkehr meine Isomatte zu verlieren. Ja, ich meine die Isomatte, die man unter den Schlafsack legt. Selbst so große Dinge kann man verlieren.
Aber da war ich halt wieder froh, dass das heute passiert. Wenn ich in einer Stadt bin. Da kann ich ja alles kaufen. Und das tat ich dann auch:
Eine selbstaufblasbare Luftmatratze, eine Überziehjacke, ein Tshirt. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich bestimmt noch mehr gekauft. Aber ich bin ja nicht zum Shoppen hier.
Dennoch wollte ich noch zum Bauhaus (war zum Glück gleich daneben): Kluppen, Wäscheleine, Klebeband und Taschenmesser – all das hatte ich daheim vergessen. Bis ich die Sachen alle gefunden hatte, ist natürlich wieder Zeit vergangen und ich hatte mich innerlich gestresst. Es ist Mittag und ich bin immer noch in Bratislava. Und es ist nicht so, dass ich die Stadt in diese Richtung verlassen möchte. Nein, wenn man es genau nimmt muss ich wieder zurück ins Zentrum und am anderen Ende raus. Also hab ich eigentlich eine schlechtere Ausgangssituation als in der Früh.
Ich werde kein Wasser kaufen!
mein Versuch, ohne gekauften Wasser durchzukommen
Generell muss ich sagen, dass ich ungern durch Städte radle. Ich hab mir das früher ein bisschen naiv vorgestellt: Ach dann fahrst du nach Bratislava schaust dir die Stadt an, dann weiter nach Budapest usw.
Die Innenstädte sind ja meist ganz nett aber bis dahin muss man erst mal kommen. Oft fährt man durch laute, starkbefahrene Straßen mit null Fahrradinfrastruktur. Abgase tragen auch nicht zu einem angenehmen Fahrgefühl bei. Und sehen tut man da außer Fahrzeuge nicht viel.
Irgendwie hatte ich es dann doch bis ins Zentrum geschafft. Sightseeing sparte ich mir (wenn mich Bratislava so sehr interessieren würde, könnte ich das jederzeit mit einem Tagesausflug von Wien erledigen).
Das Wetter war wieder ausgesprochen warm und ich merkte, dass meine Trinkvorräte bald leer waren. An einem Trinkbrunnen tankte ich frisches Wasser und dann kam mir eine Idee: Ich werde mir vornehmen kein Wasser zu kaufen.
Wasser gibt es überall und wenn ich wo kein Trinkwasser finde, werde ich einfach Leute fragen. Denn, das merkte ich: Je mehr ich mit Leuten sprach, desto motivierter war ich. Das war gestern schon so und ich war mir sicher, dass das auch weiter so bleiben würde.
Weg vom Trubel
Ich war dann froh, als ich an der Donau entlangradeln konnte und durch Wohngebiete die Stadt verlassen konnte. Und da gings dann das erste mal etwas länger bergauf. Nicht wirklich steil und lange aber im Vergleich zu gestern doch etwas mehr.
Die Steigung kombiniert mit der Hitze machte mich sehr durstig. Ich erinnerte mich an meine Wasser-Challenge. Ich radelte an einer kleinen Garagenausfahrt vorbei. Aus dem Augenwinkel erspähte ich einen Wasserhahn. Und 2 Männer, die gerade ein Auto reparierten.
Höflich bat ich um ein Wasser und wir kamen gleich ins Gespräch. Gespräch ist vielleicht ein bisschen übertrieben, da wir keine gemeinsame Sprache hatten. Aber ein paar Wortfetzen stimmten überein und eine simple Unterhaltung gelang. Wo ich denn hinfahre und dass mein Gepäck für 3 Wochen viel zu wenig sei.
Nach dem kurzen Plausch und einer vollen Wasserflasche war ich natürlich wieder etwas motivierter und ich kehrte Bratislava endgültig den Rücken.
Mein weiterer Weg führte über eine Straße, die mir Milan empfohlen hatte. Ich pedalierte stetig bergauf durch ein Waldstück, das viele Bratislaver als Erholungsgebiet nutzen.

Autoverkehr null, dafür zahlreiche Radfahrer. Alle paar Meter gab es überdachte Rastplätze zum Grillen. Wenn ich sage alle paar Meter, dann meine ich wirklich alle paar Meter. Also in Abständen von vielleicht 50 Metern. Die Strecke war wirklich sehr schön.
Langsam war es dann so, dass ich mich erstmals einem Thema widmen sollte: Wo schlafe ich heute? Theoretisch könnte ich überall schlafen. Zelt hab ich ja dabei. Und irgendwo im Wald könnte ich sicher mein Zelt aufschlagen.
Die erlösende Gulaschsuppe … und Gelsen
Wirklich gegessen hatte ich an diesem Tag nur in der Früh. Und ich hab leider die Angewohnheit, alles hinaus zu schieben.
Ihr müsst euch das so vorstellen: Die Strecke führte durch den Wald. Da gibts nicht viele Essensmöglichkeiten. Als ich einen Imbissstand passierte, dachte ich mir: Ach ich fahr weiter, bis ich was gscheites finde.
Im Wald! Ohne Proviant! Sehr intelligent.
Natürlich gab es dann kilometerweit keine Möglichkeit zum Essen (Trinken hatte ich zum Glück noch genug). Da hab ich mir dann schon gedacht: Hätt ich doch einen blöden Hotdog gegessen und mir irgendwelche Riegel für unterwegs gekauft.
Glücklicherweise fand ich dann noch eine richtig idyllische Waldschenke (also wars dann im Endeffekt eh was Besseres als die Imbissbude). Gulaschsuppe mit extra viel Gebäck. Und sicherheitshalber ein paar Riegel für den Notfall.
Die Schenke war wirklich gemütlich, es gab da nur ein Problem: Gelsen! So viele Gelsen!. Ich hab zwar viel zu Hause vergessen – aber den Gelsenspray hatte ich zum Glück mit dabei – und er war Gold wert.
Schatz, ich komme heute später heim. Ich habe gerade einen Österreicher kennengelernt, der mit dem Rad in die Ukraine fahren will
Marek erklärt seiner Frau, warum er noch nicht zu Hause ist
Das war auch anderen Gästen nicht entgangen. Und so dauerte es nicht lange, bis 2 Radfahrer am Nebentisch fragten, ob sie den Spray nutzen dürften. Wir kamen dann ins Gespräch und stellten fest, dass wir die nächsten Kilometer den gleichen Weg vor uns hatten. Und so beschlossen wir, dass wir den Weg gemeinsam zurücklegen werden.
Einer hieß Marek, den 2. Namen habe ich leider vergessen. Sie arbeiten beide in Bratislava und machten eine kleine Feierabend-Runde. Wir plauderten während dem Fahren und kamen schließlich bei einer weiteren Raststätte an und gönnten uns ein Bier.
Da in Bratislava praktisch jeder Englisch kann, konnten wir uns wirklich super unterhalten. Die beiden wurden dann doch ein wenig neugierig, wohin ich denn eigentlich fahren wollte.
So you want to go to Ukraine?
From Vienna?
By Bike?
Alone?
You are crazy!
Marek dachte anfangs ich mache einen Scherz. Diese Reaktion war ich mittlerweile schon gewöhnt. Aber ich fand es amüsant. Generell war unsere Unterhaltung sehr kurzweilig.
Wo schlafe ich?
Marek wollte dann noch wissen, wo ich denn heute schlafen wolle. Ich erzählte von meinem Plan irgendwo im Wald das Zelt aufzuschlagen. Als er das hörte, stand er auf und verschwand für mehrere Minuten.
Als er zurück kam meinte er, dass ich nicht im Wald schlafen könnte. Es würde regnen. Aber er hat nachgefragt: Ich kann im Schankraum der Raststation schlafen. Er hat mit dem Besitzer gesprochen. Das geht ok für ihn.
Wie geil ist das bitte? Ich stellte mich schon auf eine feuchte Nacht im Wald ein und der Typ organisiert da für mich einfach eine Übernachtung. Ohne dass ich ihn darum gebeten hatte. Einzige Bedingung wäre, dass ich warten müsse, bis der Besitzer zusperrt. Aber das würde eh in einer halben Stunde sein.
Dann läutete Mareks Handy: Seine Frau wollte wissen wo er denn so lange bliebe. Er wollte doch nur eine kurze Feierabendrunde drehen. Dann erklärte er, dass er nicht früher kommen konnte, weil er mich getroffen hatte. Ich hörte wie er das Wort „Ukraine“ ein paar Mal wiederholte. Scheinbar dürfte die Frau das für eine billige Ausrede gehalten haben.
Die beiden mussten nun wirklich aufbrechen bevor es dunkel wurde. Und zur Erinnerung gabs natürlich ein gemeinsames Foto.

Ich wollte mir nun mal meinen Schlafplatz genauer anschauen und suchte den Besitzer auf. Er stellte sich als Alex vor und war gut gelaunt, freundlich und auch er sprach zu meinem Glück gut Englisch. In 20 Minuten könne ich meine Sachen vorbereiten.

Als dann die letzten Gäste gefahren waren, konnte ich mein Lager beziehen. Ich durfte es mir auf dem Boden gemütlich machen, mein Fahrrad durfte natürlich auch mit rein.
Waschmaschine gab es hier keine aber im Waschbecken konnte ich meine Wäsche waschen. Und dann kam erstmals meine Wäscheleine zum Einsatz – hat sich die Einkaufstour am Vormittag also doch ausgezahlt.

Da es noch zu früh zum Schlafen war, unterhielt ich mich mit Alex. Später kam auch noch seine Freundin dazu und wir sprachen über Gott und die Welt. Begleitet wurden wir von Musik von Alex‘ Bluetooth-Lautsprecher. Ein wirklich gelungener Abend – und das ganz spontan. So muss reisen!
Bevor ich mich in meinem Schlafsack verkroch, fragte ich Alex noch, wann ich denn morgen aufstehen müsste? Ich wollte nicht unbedingt, dass mich morgen die ersten Gäste hier schlafen sehen.
Aber das war ihm ziemlich egal, weil morgen ohnehin Schlechtwetter angesagt war und da kaum jemand kommen würde.
Während ich versuchte einzuschlafen überlegte ich ein Wenig: Was war das für ein Tag? In der Früh hatte ich noch Panik ohne GPS-Uhr reisen zu müssen. Und ich hatte keine Ahnung wo ich schlafen würde. Und die Dinge erledigten sich plötzlich von selbst. Manchmal sollte man nicht immer zuviele Gedanken für Eventualitäten verschwenden. Sondern einfach den Moment genießen. Und das wollte ich für die kommenden Tage auf jeden Fall mitnehmen.
Als ich versuchte zu einzuschlafen, hörte ich, wie der Regen runterprasselte. Schon cool, dieser Marek. Draußen wär es echt nicht so gemütlich gewesen heute.
Daten zum Tag:
Mittwoch 4.8.2021
☀️
Gesamtanstieg: 561 m